Eine Rute für alles...

Wozu gibt es Zielfischruten? Diese Frage stelle ich mir seit heute. Letztendlich ist es nur eine Frage der Geschicklichkeit des Anglers und der Beschaffenheit des Gewässers, ob der Drill eines Fisches jedweder Größe in heimischen Gewässern erfolgreich verläuft. Solange genug Schnur auf der Rolle ist und das Gewässer nicht zu viele Hindernisse aufweist, sollte auch der Fang eines größeren Kalibers machbar sein. Um dieser These einen Sinn zu geben, muss man die folgende Vorgeschichte kennen: 

05.11.05: Ich habe den halben Samstag im Kreise der Familie verbracht und verspüre nun dieses Gefühl, mich mit einer Winkelpicker als Spinnrute an die Oker zu begeben. Neben der Rute packe ich noch einen feinmaschigen Kescher ein, denn ich fange ja eh nichts und dieser wiegt nicht so viel wie mein Raubfischkescher. Da ich mich später auch noch mit Blume treffe, fahre ich an das Okerwehr in Walle. Hier habe ich vor einer Woche einige Barsche gespinnert und will nur mal überprüfen, ob noch welche da sind. Der erste Wurf wirkt auch zunächst vielversprechend, bis der Spinner in der Steinpackung landet. Dort lässt er sich dann auch nicht mehr wegbewegen. Na danke. Neuer Spinner, neuer Wurf und sofort ein Barsch. Mit 18cm noch kein Riese, irgendwie. Nach drei weiteren Würfen habe ich wieder Einen in der Größe, aber dank der ultrafeinen Winkelpicker macht es trotzdem spaß. So fange ich innerhalb der nächsten 10 Würfe noch 2 bis 3 Barsche, bis mir mal wieder ein Hänger die Laune verdirbt. Mir geht langsam das Material aus, aber ich habe ja noch einen rot-silbernen Blue Fox Spinner. 

Ein weiter Wurf flußabwärts bringt mir einen leichten Widerstand und letztendlich einen Stock mit Blatt. Aber als ich ihn vom Haken befreit habe und vor mir ins Wasser fallen lasse, gibt es unter dem kleinen Steg, auf dem ich stehe, einen mächtigen Schwall und eine große Schlammwolke breitet sich aus. Es befand sich also die ganze Zeit ein Mordsfisch direkt unter meinen Füßen und ich hatte ihn nicht gesehen. Aber da Fische oft wie Angler sind sehr bequem oder einfach träge hoffe ich, dass er nicht allzu weit geschwommen ist. Ich werfe nun das gesamte Becken ab, denn er muss ja noch irgendwo sein. Doch langsam vergeht mir die Lust und außerdem bin ich mir nicht ganz sicher, ob ein so kleiner Spinner vom Schwallproduzenten, der mit Sicherheit nicht nur knapp maßig ist, überhaupt wahrgenommen wird. Vielleicht sind 0,16mm Hauptschnürchen ohne Stahlvorfach und Winkelpicker auch nicht unbedingt, Rupp!, zu spät. 

Nein, es ist kein Hänger, er bewegt sich gleichmäßig flussabwärts und interessiert sich nicht für meine Bremsversuche. Mir wäre das ja egal, wenn flussabwärts nicht so viele Äste in der Oker liegen würden. Deshalb gehe ich am Ufer dem Zug hinterher welcher dadurch auch umdreht. Doch nun schwimmt er auf die Pflöcke der Wehranlage zu und lässt mich weiter schwitzen. Zwischenzeitlich kommt der wie zu befürchten war Hecht kurz an die Oberfläche und wird von mir in der Schublade: gar nicht mal so klein abgelegt. Ich weiß zwar nicht, wo der Spinner sitzt, aber jedenfalls nicht im Maul, sonst wäre die Schnur längst durch. Das hoffe ich zumindest. Derweil hat mein Drillgegner erneut gewendet und durchstreift das ganze Wehrbecken. Doch so ganz allmählich werden seine Bahnen immer enger und ich bekomme ihn für längere Zeit an die Oberfläche. Dabei sehe ich endlich, dass der Spinner zum Glück erkennbar ist und somit die Schnur nicht unbedingt gefährdet. Ich ziehe ihn nun etwas konsequenter in meine Richtung, doch der Hecht nimmt dummerweise das Eintauchen des Keschernetzes ins Wasser wahr und flüchtet kraftvoll. Durchatmen. 

Die Schnur hält. Langsam bekomme ich ihn wieder heran. Aber er schwimmt mir mit halbgeöffnetem Maul so entgegen, dass viel sauerstoffreiches Wasser durch seine Kiemen strömt. Es dauert nicht lange und er flüchtet wieder. Doch jetzt kommt er dem Keschernetz schon gefährlich nahe. Er will aber einfach nicht. Eine Berührung mit dem Kescher und er zieht wieder los. Herrje! Meine Uhr zeigt 16:44, wie lange hat das wohl schon gedauert? Ein erneuter Versuch. Der Kopf und ein Stück vom Körper sind über dem Netz, dann stellt er die Schwanzflosse quer und bleibt stehen. Verzweifelt versuche ich ihn mit einem Kescherstechen zu erwischen. Doch er rutscht rückwärts aus dem Netz und schwimmt wieder los. Bei so einer Aktion habe ich vor fast auf den Tag genau 6 Jahren einen bestimmt 80er Hecht verloren. Diesmal nicht. Nicht wieder. Der Hecht schwimmt am Netz vorbei und man sieht deutlich, dass er eigentlich gar nicht in den Kescher passen kann, denn er ist um einiges länger als die Kescherbügelweite. Verdammt! Warum habe ich nur diesen Stippkescher eingepackt? Ich bin so sauer, dass ich schon fast eine Handlandung wagen will. Aber nach einer weiteren Flucht ziehe ich doch wieder den Kescher vor. Der Hecht kommt mal wieder in Keschernähe und wird mit dem Kopf in den Kescher geführt, in den er mal wieder nicht reinpassen wird. Ein Schwall, ein starker Zug, aber diesmal am Kescherstiel!! Ich traue meinen Augen nicht: der Hecht hat sich selbst ins Netz katapultiert! Endlich und Gott sei dank. Die Kescherbügel verbiegen sich unter der Last des Hechtes. Egal, der war sowieso murks. Ein dickes Okerkrokodil klatscht auf die Stegplanken und wird abgeknüppelt. Dabei entdecke ich, dass der Drillingshaken im Kinn des Hechtes sitzt. So langsam kommt mir die Ahnung, dass dies mein größter Hecht ist. 

Das Maßband wird aus der Tasche gekramt, angelegt und: Dies ist nicht nur mein größter Hecht, das ist der größte Fisch meines bisherigen Lebens! Unvorstellbare 90cm lassen sich ablesen. Hinzu kommen natürlich sofort digital ermittelte 8 Pfund 300g; ein Gewicht, das des größten Raubfisches endlich würdig ist. Ein befreiender Triumphschrei hallt durch die Umgebung und lässt mich die Minuten des Drills nachträglich genießen. 

Da soll noch Einer sagen, dass man fürs Raubfischangeln schweres Gerät braucht. Das Einzige, was ausreichend bemessen sein sollte, ist der Kescher, die Nerven, Zeit und Glück! 

Martin Ganskow